Donnerstag, 28. Juli 2022

VERHANDELN - JETZT! Leitartikel der NYT vom 27.07.2022

Unsere Einschätzung, dass jegliche Waffenlieferung an die Ukraine den Krieg weiter eskalieren lässt, wird mit einem Leitartikel der New York Times eindrucksvoll unterstrichen. Waffenlieferungen führen prinzipell in die Ausweglosigkeit, weil ein "Sieg" der Ukraine und damit eine "Niederlage" für Russland für Russland unannehmbar ist. Genauso ist ein "Sieg" Russlands und also eine "Niederlage" der Ukraine für die NATO unannehmbar. Der Krieg droht zu einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der NATO zu eskalieren mit der Gefahr eines Atomkrieges. Dagegen helfen nicht mehr oder speziellere Waffen, sondern nur Verhandlungen. Mit dieser Fastenaktion fordern wir zugleich: VERHANDLUNGEN JETZT!
 

The U.S. and Russia Need to Start Talking Before It’s Too Late https://www.nytimes.com/2022/07/27/opinion/ukraine-russia-us-diplomacy.html?unlocked_article_code=AAAAAAAAAAAAAAAACEIPuonUktbfqYhkT1UZBCbSRdkhrxqAwuXM2rU9gHK7NjWOUjdLivkORoSB40PKYKNodp0zwzGfDpdnAYMYecZTnKVZLlA_DE6huIeFk5AIZC9totPvA2humsvAAOl9rGbjMSzpc752gey15RiIO2a5W_eJhmYzZ1ow-esTflCp0XcCwKrEA7Q1joE4haF9c8g8ETQQZyCKvO3qDQF-MbiFZxLf7woxUoJJSG2Z3I7cu_9bLlIkWR-RR2h_4G089NpWJNsUWa71JBYmc8b06q4D3bvvyasPyNBdpk4UldbRrg  
 

oder:

https://www.evernote.com/shard/s331/sh/31455c6f-c5b9-4e88-b1e3-ccc20a6423e6/4053e0d4b33ec4d55edddfa80dabe7b2

Dienstag, 26. Juli 2022

Hoffnungsgrund Sandesneben und die Atomwaffenflüchtlinge - 2. Fastentag 25./26. Juli 2022

Die Fastenaktion in Sandesneben vor der mongolischen Jurte mit Dr. Jonathan Johannes Düring

Mitten in der schleswig-holsteinischen Endmoränenlandschaft liegt unweit einer evangelischen Kirche ein Pastorat, das nach über 100 Jahren nach seiner Errichtung seit einiger Zeit nun seine wahre Aufgabe gefunden hat: Ein Zentrum für Kirchenasyl für ganz Deutschland. Zu Unrecht von Abschiebung bedrohten Menschen, denen Kirchengemeinden ein Kirchenasyl aussprechen wollen, aber nicht wissen, wie sie dies auf würdige Weise in die Tat umsetzen können, sind eingeladen, hierher zu kommen. Solch ein Kirchenasyl kann wenige Wochen, aber auch sechs Monate, unter bestimmten Umständen sogar 18 Monate währen. Das ist eine besondere Herausforderung für alle.

Dieser Herausforderung haben sich Alexandra Harloff-Düring und Dr. Jonathan Johannes Düring gestellt. Sie gründeten den Verein "Hoffnungsgrund". Seit 2014 betreuen sie dieses Zentrum in Sandesneben und erfüllen es mit Leben. Inzwischen haben über 100 Flüchtlinge von dieser Einrichtung profitiert. Aber auch das Ehepaar Düring hat reichlich profitiert. Ein Buch vergegenwärtigt mit zahlreichen Bildern pars pro toto alle, die in diesem Haus vorübergehend eine neue Bleibe fanden.

Zu jeder und zu jedem wissen die Beiden z. T. herzergreifende Geschichten zu erzählen. Da ist die jesidische Familie, die nach dem Ende des Kirchenasyls nach Augsburg zurück muss, aber nicht weiß, wohin, Dürings fahren mit und begleiten sie. Die frühere, von der Stadt zugewiesene Unterkunft war für die Familie eine Qual und unerträglich. Die verantwortliche Mitarbeiterin der Stadt hat ein Einsehen. In Augsburg angekommen nagt der Hunger und gemeinsam steuern sie eine Dönerbude in der Nähe an. Wie es sich ergibt, stellen sie fest, dass der Betreiber auch Jeside ist und bezieht sie in sein langjähriges Netzwerk vorbehaltlos mit ein.

Mittlerweile hat sich die Arbeit in Sandesneben wesentlich erweitert. Für die Kinder der Flüchtlinge musste ein Kindergarten her. Gebäude standen dafür nicht mehr zur Verfügung. Also wurde ein Garten-Kindergarten entworfen und als Aufenthaltsort für die Kinder eine mongolische Jurte erworben, die mit ihrem eigentümlichen Reiz mitten auf der Wiese vorm Haupthaus steht.

Ukrainische Flüchtlinge, Mütter mit ihren Kindern, kamen hinzu. Um es ihnen zu ermöglichen, Deutsch zu lernen, wurde die Kinderbetreuung erweitert. Eine Frauengruppe trifft sich regelmäßig, zu der auch einheimische Frauen hinzu kommen. Regelmäßig finden Feste statt und wird auch und gerade gegen den Tod – der Ehepartner einer Ukrainerin starb als Soldat in der Ukraine - die Leidenschaft für das Leben gefeiert.

Diese und andere Niederlagen und Enttäuschungen müssen verkraftet werden, etwa wo viel Kraft und Zeit investiert worden ist und Menschen einen anderen als den erhofften oder erdachten Weg einschlagen. „Aber sind das nicht vielleicht auch notwendige Ent-Täuschungen“, meint Johannes Düringer, „man hat eine Täuschung weniger?“ „Wie steht es mit der Integration?“, fragt Alexandra Harloff-Düringer. „Ist damit nicht de facto Assimilation gemeint? Und wie gelingt es in eine Balance zu finden, was die Gesellschaft von den Flüchtlingen erwartet und was diese selbst für sich als gut und notwendig empfinden?“ Hier tut sich ein Thema auf, dessen Ausmaße wohl noch nur von wenigen ermessen worden sind. Ich höre von dem Buchtitel „Das Integrationsparadox“ von Aladin El-Mafaalani. Ein Thema für das Ökumenische Institut Friedenstheologie?

Doch was hat die Flüchtlingsaufgabe mit Atomwaffen zu tun? Zum Ende des Zweiten Weltkrieges hatten amerikanische und sowjetische Spezialkräfte die wissenschaftliche Eliten des deutschen Uran-Projektes gekidnappt. Trotzdem waren die Vereinigten Staaten von Amerika die ersten und die einzigen, die in der Lage waren, Atombomben zu bauen. Doch sie waren nur kurze Zeit im alleinigen Besitz über die wissenschaftlichen Voraussetzungen sowie Technik und Herstellung von Atomwaffen. Verrat verschaffte die Sowjetunion gleichfalls in den Besitz von Atombomben. Im Zuge des Kalten Krieges ermöglichten die Vereinigten Staaten von Amerika England und Frankreich ebenfalls in den Besitz von Atomwaffen zu kommen und sie selber herstellen zu können. Die Vereinigten Staaten von Amerika und vor allem Frankreich ihrerseits rüsteten Israel und später Pakistan und Indien mit dem Know-how aus, eigene Atomwaffen zu besitzen. Und dies, auch nachdem sie den Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen unterschrieben hatten. Sie wissen also, wie es möglich ist an öffentlichen Kontrollen vorbei ein Land mit Atomwaffen auszurüsten. Was man selber tut, wird bei anderen besonders gern gesehen. Der Vorwurf Irak unter Saddam Hussein sei im Besitz von Atomwaffen, war der erlogene Vorwand, Irak anzugreifen und eine Vielzahl seit langer Zeit gewachsene gesellschaftliche und politische Strukturen des Landes zu zerstören, u. a. indem auf einen Schlag die gesamte Irakische Armee ohne berufliche Alternativen für die Soldaten entlassen wurde. Gerade die Offiziere der irakischen Armee waren Laizisten. Dennoch war diese Demütigung der Anlass, sich zu radikalisieren und das zu schaffen, was als „Islamischer Staat“, IS, bekannt wurde. In Irak konnten sie keinen Fuß fassen, aber mitten im syrischen Bürgerkrieg in der Grenzregion von Irak und Syrien und später in Syrien. Der Westen unterstützte diejenigen, die gegen den IS kämpften mit Know-How und Waffenlieferungen und die Vereinigten Staaten von Amerika auch mit eigenen Truppen. Russland griff auf Seiten von Assad in den Krieg ein. Gegen die IS vereint gelang es beiden Seiten die IS fast vollständig zu besiegen. Aber der Krieg zwang Tausende von Familien zur Flucht. Die Flüchtlingslager in Jordanien und Libanon waren überfüllt und so suchte man über Türkei einen Weg nach Europa, bis Deutschland 2015 etwa eine Million syrischer Flüchtlinge aufnahm.

Der ukrainische Präsident W. Selenskyj trug entscheidend zur Eskalation des Konfliktes mit Russland bei, als er am 19. Februar 2022 auf der Münchner sogenannten Sicherheitskonferenz vortrug, dass die Ukraine sich vorstellen könnte in den Besitz von Atombomben zu gelangen zu wollen: „Der ukrainische Präsident stellte einen Ausstieg seines Landes aus dem Budapester Memorandum in den Raum. Ein solcher Schritt würde bedeuten, dass die Ukraine wieder Atomwaffen besitzen könnte. Denn in diesem Abkommen wurde festgelegt, dass die Ukraine eine internationale Garantie ihrer Sicherheit bekäme, wenn sie auf ihren Status als Atommacht verzichtete.“[1] Das war für Putin und seine Herrschaftsriege ein willkommener Anlass, u. a. damit den lang geplanten Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen (Putins Rede vom 09. Mai 2022). Die russische Ankündigung, bis zum Ende des Jahres Atomwaffen einsetzen zu wollen ist m. E. Ernst zu nehmen.[2] Ein sofortiger Waffenstillstand mit einer anvisierten Verhandlungslösung (neutrale Ukraine mit Anbindung an die EU nach Schweizer Modell) ist dringender denn je.

Es bleibt zu hoffen, dass die Güte immer wieder Menschen ergreift ihrem Gewissen zu folgen und sich der Androhung und Anwendung von Atomwaffen widersetzen, ganz gleich in welcher Armee. Den Widerstand gegen Atomwaffen als Gebot der Menschlichkeit einzufordern hält diese Hoffnung immer wieder wach. Ist das ein Hoffnungsgrund?

Mit Alexandra Harloff-Düring in Sandesneben

 

 



[2] Akkoyun, Nail: Wladimir Putin kündigt baldigen Einsatz von Atomwaffen an. In: (Bremer) Kreiszeitung vom 07.07.2022, s. https://www.kreiszeitung.de/politik/news-wladimir-putin-ukraine-krieg-atomwaffen-atomraketen-satan-ii-sarmat-grossbritannien-europa-91624791.html - eingesehen am 26. 07.2022

 

 

Montag, 25. Juli 2022

Fasten im Ukrainekrieg - Brief zum ersten Fastentag

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

 

der erste Fastentag der diesjährigen Fastenaktion vom 24. Juli bis 9. August bis zum Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland hat begonnen. Es ist die 13. Aktion in Folge mit jährlich einem weiteren Tag, indem jeweils ein Tag eher begonnen wird. Das erweckt den Eindruck von Routine, doch in diesem Jahr ist vieles anders. Das sind nicht zuletzt die Rahmenbedingungen, die mit dem Ukraine-Krieg eine schreckliche Zuspitzung gefunden haben.

Nach der Wiedervereinigung fand eine ununterbrochene Folge von Kriegen statt, u. a. von Jugoslawien über Kuweit, Somalia, Afghanistan, Irak nach Syrien, jeweils mit mehr oder weniger Beteiligung der Bundeswehr. Nun ist es zum ersten Mal ein Krieg mit einer Atommacht in Europa (zuvor gab es Kriege der Atommächte Pakistan und Indien).

Nach ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine spricht Russland offen über einen Atomwaffeneinsatz, allerdings nur, wenn es sich einer „existentiellen Bedrohung“[1] ausgesetzt sieht. Die NATO schließt einen Ersteinsatz von Atomwaffen nicht aus. Führende Politiker fordern mehr und stärkere Waffen für die Ukraine. Damit tragen sie zur Eskalation des Konfliktes bei. Gleichzeitig beschwichtigen sie, dass eine Atomkriegsgefahr nicht bestünde. Jede Eskalation führt aber näher an die Schwelle des Atomwaffeneinsatzes. Russland hat nicht definiert, was eine „existentielle Bedrohung“ sei und die NATO lässt ihre Abschreckungsdoktrin bewusst offen. Somit kann absichtlich oder unabsichtlich („Atomkrieg aus Versehen“) eine Lage entstehen, die uns gefährlich nah an den Rand eines Atomkrieges führt. Betroffen wären in erster Linie alle Menschen in Europa und dann die ganze Menschheit.

Trotz dieser massiven Drohung bleibt die Resonanz auf diese Bedrohung merkwürdig verhalten. Im Gegenteil, unter dem Eindruck des Krieges scheint sich kurzfristig eine Mehrheit der Deutschen für die atomare Abschreckung auszusprechen.

Die Atomwaffenfrage hatte aber speziell in Deutschland immer einen schweren Stand und das, obwohl der Befehl zum Abwurf der Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika von deutschem Boden ausging: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Harry S. Truman, hielt sich im August 1945 in Potsdam zu den dortigen Konferenzen der Alliierten auf. Er weilte in einer Villa, die noch heute zu sehen ist. Von dort befahl er während der Konferenz den Abwurf, letztlich um der Sowjetunion zu demonstrieren, dass die Vereinigten Staaten von Amerika die einzig verbliebene Weltmacht ist.

Als dann am 6. und 9. August über Hiroshima und Nagasaki die Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika explodierten, waren die Menschen in Deutschland mit anderen Fragen beschäftigt. Dass der zweite Weltkrieg erst am 2. September 1945 mit der Kapitulation Japans endete, ist im breiten historischen Bewusstsein in Deutschland nicht angekommen, hier gilt immer noch der 8. Mai 1945 als Hauptdatum.

In Deutschland wurde durch eine Meldung von Radio Tokio vom 22.08.1945 der Einsatz von zwei Atombomben bekannt (Archiv der Gegenwart, AdG, Dokument-Nummer 00389 vom 22.08.1945). In Deutschland herrschte im Sommer 1945 Hungersnot (AdG 00285 vom 22.06.1945; Probst Heinrich Grüber in einem offenen Brief, AdG 00356 vom 07.08.1945: „Tausende und Zehntausende sterben auf den Landstraßen vor Hunger und Entkräftung“). Der von der nationalsozialistische Propaganda weidlich ausgenutzte sogenannte Morgenthauplan – Deutschland nach dem Krieg vollständig zu entindustrialisieren (AdG 06545 vom 04.10.1944) – war auch nach dem Krieg präsent (AdG 01209 vom 01.10.1947; 01401 vom 28.02.1948), obwohl er seit September 1944 fallen gelassen worden war (Wikipedia Art. Morgenthau-Plan, eingesehen am 25. Juli 2022). Der Marshallplan zeichnete sich aber erst von September 1946 ab an (Wikipedia Art. Marshallplan, eingesehen am 25. Juli 2022), das Archiv der Gegenwart verzeichnet es zum ersten Mal ersten Mal am 20.06.1947 (Nr. 01122).

Es ist also davon auszugehen, dass bei die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung kaum Interesse hatte  noch Bereitschaft dafür vorhanden war, genau zu verfolgen, was in Hiroshima und Nagasaki geschehen ist. Es ist im Gegenteil zu befürchten, dass weitere Gründe dafür sprechen, dass je länger je mehr die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki bekannt wurden, sie auf eine spezifisch deutsche Weise aufgenommen wurden.

Die deutschen Verbrechen an den Völkern der Sowjetunion nach dem Überfall auf die Sowjetunion vom 22. Juni 1941 an und insbesondere gegen die europäische jüdische Bevölkerung waren durchaus präsent, Millionen deutscher Soldaten waren zumindest Augenzeugen und die Alliierten sorgten dafür, dass die Verbrechen gegen europäische Juden in Deutschland bekannt wurden. Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal hat einen Teil dieser Verbrechen in der Öffentlichkeit verhandelt und Verantwortliche dafür zur Rechenschaft gezogen. Das Gericht achtete streng darauf nach völkerrechtlich gültigen Grundsätzen zu urteilen, um sich gegen den Vorwurf einer „Siegerjustiz“ wehren zu können. Die Tatsache, dass die völkerrechtswidrigen und kriegsverbrecherischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki bis heute nicht juristisch verfolgt worden sind, nährt aber genau diese Vorbehalte. Sie mögen von vielen Deutschen zumal so aufgenommen worden sein, dass wenn doch „die Amerikaner“ auch solche Verbrechen begehen, dann können „die Deutschen“ nicht so schlimm sein. Man nahm also die Komplizenschaft derer wahr, die nach dem Begehen eines Verbrechens auf deren Straflosigkeit bedacht sind.

Die vorbehaltlose Ablehnung der Atombombenabwürfe der Vereinigten Staaten von Amerika auf die beiden japanischen Städte war demnach von Anfang an bei nur sehr wenigen Menschen gegeben.

Die Auseinandersetzung mit Atomwaffen litt gerade in Deutschland unter einer weiteren Last:

Führende deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Otto Hahn und Lise Meitner) hatten vor dem Krieg die Kernspaltung entdeckt und ihr Potential schnell erkannt. Ihre Forschung wurde von der Nationalsozialistischen Regierung gefördert, da sie sich auf militärische Nutzung bezog. Dies förderte u. a. bei A. Einstein die Phantasie, Deutschland wäre in der Lage eine Atombombe zu bauen und führte dazu, dass er dringlich alle Anstrengungen der Vereinigten Staaten von Amerika einforderte, den Deutschen zuvor zu kommen (Manhattan-Projekt). In Deutschland wurde ein erster Atomreaktor gebaut und seit 1940 betrieben. Es gibt gut begründete Vermutungen, dass Menschenversuche mit einer sogenannten dreckigen Atombombe stattfanden (am 4. März 1945 mit 500 bis 700 KZ-Häftlingen als Opfer in Ohrdruf, Strahlentelex Nr. 436-439 vom 03.03.2005 und 07.04.2005). Zu einer Atombombe wie die, die Hiroshima und Nagasaki zerstörte, waren die deutschen Wissenschaftler allerdings nicht in der Lage (s. Protokolle der heimlich abgehörten Gespräche von deutschen in Farm Hall gefangen gehaltenen Atomwissenschaftler[2]). Sie hatten sich mit einem verbrecherischen Regime eingelassen und deren apokalyptischen Großmachtphantasien mit ihrer Forschung bedient.

Nach dem Krieg waren der deutsche Atomphysiker Karl Bechert im Verbund mit Albert Schweitzer die einzigen namhaften Wissenschaftler, die sowohl gegen die sogenannte zivile als auch militärische Nutzung der Atomkraft kämpften. Sie wurden von der Mehrheit der deutschen Wissenschaftler nicht gehört. Vermutlich auch aus dem Grunde, weil in der zivilen Nutzung der „Kernenergie“ einige der führenden Atomwissenschaftler eine in der Öffentlichkeit geachtete biografische Fortsetzung ihrer atomwissenschaftlichen Forschungen fanden (C. F. von Weizsäcker, W. Heisenberg). Die bekanntesten von ihnen lehnten zwar die Atomwaffen ab (Göttinger Erklärung 1957), aber nicht die sogenannte zivile Nutzung der Kernenergie. Damit aber war die Friedensbewegung gespalten. Auch in den folgenden Jahrzehnten gab es nur hin und wieder ein gemeinsames Agieren der Anti-Atomkraft- mit der Anti-Atomwaffenbewegung, dies vor allem nach der dreifachen Fukushima-Katastrophe am 11. März 2011.

Während des Kalten Krieges bestand fortwährend die Atomkriegsgefahr. Selbst Raketenwerfer der Bundeswehr, die nicht weiter als 40 km entfernte Ziele erreichen können, waren mit Atomsprengköpfen ausgestattet (mündliche Aussage eines Oberstleutnants an der Artillerieschule Idar-Oberstein 1998). Erst die Aufrüstung mit Pershing II-Raketen und der drohende Einsatz von SS-II-Raketen führte die Brisanz der Lage neu vor Augen. Hundertausende ließen sich mobilisieren gegen die Aufrüstung zu demonstrieren und beeindruckten damit sowjetische Militärs und Politiker. Davon sind wir heute – obwohl die politische Lage während eines Krieges in der Ukraine mit einem Atomwaffenstaat noch nie so heiß war wie jetzt – noch weit entfernt.

Die Leidenschaft für das Leben, sich für eine Welt ohne Atomwaffen einzusetzen, befindet sich seit Jahren in einer außerordentlichen Geduldsprobe. Die in den zurückliegenden Jahren erreichten Erfolge (IGH-Gutachten, Atomwaffenverbotsvertrag) lassen hoffen. Die Aussichten auf eine Massenbewegung in Deutschland gegen Atomwaffen sind hingegen gegenwärtig nicht gerade rosig. Die aktuelle Bedrohung scheint nicht als unmittelbar wahrgenommen zu werden, hoffentlich ist dies keine Täuschung.



[1] https://www.fr.de/politik/ukraine-news-russland-atomwaffen-einsatz-bedingungen-moskau-putin-krieg-91538077.html - eingesehen am 01.06.2022

[2] ausführlich zur Frage: Popp, Manfred: NS-Zeit: Darum hatte Hitler keine Atombombe. ZEIT 04.01.2017. http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2016-12/ns-zeit-adolf-hitler-atombombe-entwicklung-werner-heisenberg-kernphysik/komplettansicht - eingesehen am 05.01.2017.