Mittwoch, 28. Juni 2017

Die Verwandlung der Ohnmacht

Warum ich faste



„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe gekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ Das ist die allererste Botschaft Jesu im Markusevangelium (Markus 1,Vers 14) Wie nah lassen wir das Reich Gottes heran? Bis zum Zaum des Atomwaffenlagers Büchel – oder auch dahinter?
Gilt der Ruf zur Umkehr allen? Was bedeutet er zum Beispiel
- für Politiker, die es verantworten, dass Atombomben gelagert werden?
- für Bürger, die es dulden, dass deutsche Piloten den Abwurf einer Atombombe üben?
- für Soldaten und Angestellte, die unmittelbar mit Atombomben zu tun haben?

Und was bedeutet der Ruf zur Umkehr für mich?

Der Glaube kann Berge versetzen. Was einmal für unmöglich gehalten wurde – heute ist es Alltag: Die Sklaverei ist abgeschafft. Kinder werden in den Schulen nicht mehr geprügelt. Frauen gehen zur Wahl und kämpfen für ihre Rechte.
Aber wann ist die Welt atomwaffenfrei? Was hindert die Bundesregierung daran, den Abzug der ca. 20 Atombomben aus dem Fliegerhorst Büchel in der Südeifel zu beschließen, die die USA dort vermutlich bereits mit Dienstbeginn des deutschen Luftwaffengeschwaders 1957 gelagert haben?

Was tun im Angesicht der Atomwaffen?

Diese Fragen rückten mir auf den Leib, als ich 1997 Militärpfarrer wurde. Mit Schrecken stellte ich fest, dass durch die 2. Luftwaffendivision in Birkenfeld (ebenfalls Rheinland-Pfalz) indirekt auch der Fliegerhorst Büchel zu meinem Bereich gehörte, das inzwischen letzte verbliebene US-Atomwaffenlager in Deutschland. Schon als Jugendlicher war mir durch die politische Bildung in der evangelischen Jugendarbeit klar geworden, dass Atomwaffen abgeschafft gehören. Sie widersprechen dem christlichen Bekenntnis. An Demonstrationen für die Abschaffung von Atomwaffen teilzunehmen – dazu war ich damals zu feige gewesen. Nun aber gehörte diese Thematik zu mir.

Ich war den Atomwaffen nahe gekommen. Wie sollte ich mich dazu verhalten? Dankbar nahm ich das damals frisch veröffentlichte Gutachten des Internationalen Gerichtshofes, (IGH) von 1996 auf, wonach die Androhung und Anwendung von Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtswidrig sind. Nur für den Fall, dass ein Staat in seiner Existenz unmittelbar bedroht ist, wollte das Gericht sich nicht festlegen. In der 2. Luftwaffendivision jedoch kannte niemand dieses Gutachten des IGH. Weder Bundeswehr noch die Militärseelsorge, die organisatorisch dem Verteidigungsminister untersteht, fühlten sich verantwortlich dafür, die Einheit darüber zu informieren.

Das Völkerrecht ist für den Staat und damit für alle Soldaten durch Artikel 25 des Grundgesetzes bindend: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Darum war ich davon überzeugt, der Hinweis darauf würde ausreichen, Soldaten aller Ränge dazu zu bewegen, sich mit mir gemeinsam dafür einzusetzen, dass die Atomwaffen abgerüstet würden. Aber das Vorhaben scheiterte. Auch wenn ich natürlich nicht weiß, was es bei den Soldaten bewirkte, dass ich diese Thematik in meinen Lebenskundlichen Unterricht (LKU) immer wieder einbrachte. Mit dem damaligen General in Birkenfeld hatte ich jedenfalls eine heftige öffentliche Auseinandersetzung. Aber das half nicht weiter.


Büchel soll fallen wie die Festung von Jericho

Deshalb veränderte sich mein Fokus im Laufe der Zeit. Wie kann es gelingen die Bevölkerung vor Ort dafür zu gewinnen, sich mit dafür einzusetzen, dass die Atombomben abgezogen werden, fragte ich mich? Wenn es zu einer großen Krise kommt, sind sie als Nachbarn als allererste bedroht! Wie kann es gelingen, Soldaten dazu zu bewegen, dass sie erklären, mit Atomwaffen nichts zu tun haben zu wollen? Wie kann es gelingen, die bundesdeutsche Öffentlichkeit dazu zu mobilisieren, dieses Unrecht zu beenden?

Zum Glück gab es schon seit einiger Zeit vor Ort Menschen, die sich für dieses Ziel einsetzten. Wir trafen uns und gründeten den Initiativkreis gegen Atomwaffen, heute eine Regionalgruppe des Internationalen Versöhnungsbundes. Damit bildeten wir eine Art von verbindlicher Gemeinschaft, angestoßen durch die friedenstheologische Lektüre des US-amerikanischen Theologen John Howard Yoder. Er schildert, wie die Friedensbotschaft Jesu in der Welt gewirkt hat, zu Lebzeiten von Jesus und genauso heute: Unmittelbar nach seinem ersten öffentlichen Auftreten beginnt Jesus eine verbindliche Gemeinschaft zusammenzurufen. Solch ein Schritt schafft Fakten und verändert die Welt schon ein wenig – zumindest vor Ort.

In unserem Initiativkreis waren die Beteiligten christlich geprägt und ökumenisch orientiert. So war es für uns selbstverständlich, das Atomwaffenlager Büchel und unsere Aktionen dort auch in einer geistlichen Perspektive zu sehen. Als erstes bezogen wir die biblische Geschichte vom Fall der Festung Jerichos auf das Atomwaffenlager Büchel. Ab 2002 umrundeten wir sieben Jahre lang einmal jährlich den 18,5 Kilometer langen Zaun des Atomwaffenlagers. Im 7. Jahr machten wir dasselbe an sieben Tagen hintereinander einmal täglich und am letzten Tag dieser Woche läutete eine Fahrradgruppe mit sieben Umrundungen den Abschluss ein. An diesem letzten Tag, am 30. August 2008 begleiteten uns mehr als 2000 Menschen – so viele wie noch nie.


Friedenstafeln und „Welt-Kriegs-Bruch“

Diese Umrundungen wurden oft durch eine „Friedenstafel“ vor der Einfahrt zum Atomwaffenlager eröffnet. Mit dieser Friedenstafel – ein gedeckter Tisch für ein gemeinsames Frühstück mit Demonstrierenden und Soldaten – wollten wir ein Angebot aus Gottes neuer Welt, ein Zeichen des Friedens, aufnehmen: Dass wir einst gemeinsam an dem Tisch versammelt sein werden, den Christus uns bereitet.

Es gab bei dieser Gelegenheit tatsächlich die eine oder andere Begegnung. Aber während in den ersten Jahren zumindest einige Soldaten teilnahmen, so wurde die Zahl immer weniger, je länger wir vor Ort tätig waren. Viele – besonders die Zivilangestellten – fürchten um ihren Arbeitsplatz, wenn die Atombomben abgezogen werden sollten.
Aus dieser Sorge heraus wurde auf einer der Umrundungen mit fachlicher Begleitung ein Konzept für eine alternative Nutzung des Fliegerhorstes entwickelt: Die Idee: Ein Zentrum für alternative Energiegewinnung auf der Grundlage der dort verlaufenden Euro-Pipeline. Bislang hat keine der benachbarten Kommunen unser Angebot angenommen an einem Konversionsprojekt zu arbeiten. Aber je eher das geschieht, desto eher sind die Kommunen darauf vorbereitet, sich aus der strukturellen monokulturellen Abhängigkeit vom Arbeitgeber Bundeswehr zu lösen und andere Standbeine eines lokalen Wirtschaftslebens zu fördern. Dies wäre eine bedeutsame kommunale Aufgabe, nicht zuletzt bei einer Schließung des Fliegerhorstes.

Zeichenhaft erleben können, was es mit Gottes neuer Welt auf sich hat, war auch der Grundgedanke für die Aktion Zivilen Ungehorsams im Sommer 2009. Zu dritt sind wir mit Engagierten aus der Friedensbewegung auf das Gelände des Verwaltungsbereiches des Atomwaffenlagers „eingedrungen“ - wir gingen einfach an der Wache in Cochem-Brauheck vorbei. Mit Rosen in beiden Händen – um sichtbar zu machen, dass wir unbewaffnet sind. Mit dieser „Invasion der Freundlichkeit“ wollten wir mit der Kriegslogik brechen und „Weltkriegsbruch“ begehen. Der Aufforderung des wachhabenden Soldaten stehen zu bleiben leisteten wir Folge. Wir wurden von der Polizei festgenommen und nach Überprüfung unserer Personalien freigelassen. Im Januar 2010 wurde ich wegen „Hausfriedensbruch“ zu 500 Eure Geldbuße auf Bewährung verurteilt.

Unsere Veranstaltungen vor Ort, gleich welcher Art und Aktion, werden mit einem Gebet, einer Andacht oder einem Gottesdienst eröffnet und/oder abgeschlossen.
So entstand auch das “Büchelgebet“, später die „Büchelhymne“ .

Fasten als geistliche Auseinandersetzung

Im August 2010 schließlich starteten wir anlässlich der Gedenktage an die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki im August 1945 eine sich seitdem ständig ausweitende Fastenkampagne Damals erklärte ich: „Solange in Deutschland noch Atomwaffen lagern, werde ich jedes Jahr einen Tag länger fasten und jeweils einen Tag eher anfangen.“ Damit eröffnete ich – so verstehe ich diese Aktionsform - die geistliche Auseinandersetzung mit den Atomwaffen. Sie widersprechen nicht nur allen drei Artikeln des christlichen Glaubensbekenntnisses. Sie gefährden auch die gesamte Schöpfung. Sie leugnen das Geschenk der Vergebung, das uns durch Christus gegeben wurde. Und sie sprechen dem Heiligen Geist Hohn, der zum Umkehr ruft.

Atombomben verleihen ihren „Besitzern“ und anscheinend auch vielen, die mit ihnen zu tun haben, den aberwitzigen Eindruck, der Stärkste unter den Starken zu sein. Sie sind Ausdruck des Gewaltglaubens. Realisierte Apokalyptik in falsch verstandenem Glauben an eine Allmacht durch Herrschaft und Gewalt. Der Widerstand gegen Atomenergie und Atombomben muss sich dagegen schon seit Jahrzehnten mit Ohnmachtserfahrungen auseinander setzen. Diese hat jeder und jede mit sich selbst und dem eigenen Glauben auszumachen. Dabei ist es nicht zuletzt auch eine gesellschaftliche, ja weltweite Problematik.


Durch unsere Fastenaktion wird die Ohnmacht öffentlich. Sie wird geradezu zur Schau gestellt und zelebriert. Im kindlichen Vertrauen eines Christenmenschen: „Wo unsere Ohnmacht am größten ist, kann der Geist Gottes am ehesten wirken.“ Die Fastenaktion will die Soldaten am Fliegerhorst ansprechen, sie einladen umzukehren und eine juristisch geprüfte Erklärung abzugeben, nichts mit Atomwaffen zu tun haben zu wollen. Und sie richtet sich an die Bevölkerung der ganzen Bundesrepublik: Es muss mehr geschehen im Kampf gegen Atomwaffen!

Täglich umrahmen zwei Gedenk-Friedensgebete unsere Fastentage: Morgens um 8.15 Uhr und abends um 20.15 Uhr. Um 8.15 Uhr, am 6. August 1945, wurde die Atombombe über Hiroshima gezündet. In diesen Friedensgebeten werden die Namen von Hiroshima-Opfern gedenkend verlesen.
Entscheidend dabei wurden für mich die biblischen Buß- und Klagepsalmen. Einige bezog ich auf die Auseinandersetzung mit den Atombomben und war selber überrascht, wie sehr sie in die aktuelle Situation hinein sprachen. Wie so oft war die Bibel auch hier wieder Sprach- und Denkhilfe. Der Ort unserer Aktionen – die Haupteinfahrt zum Atomwaffenlager – wurde und wird so nach und nach umgewandelt. Jedes Mal, wenn jetzt Soldaten zur Arbeit fahren, durchqueren sie eine Wolke von Gebeten, die auf dem Weg ruhen. Außerdem gibt es eine Friedenswiese mit vielfältigen Friedenssymbolen geworden, darunter einem Bildstock mit dem berühmten Holzschnitt von Otto Pankok „Christus zerbricht das Gewehr“.

Thomas Gerhards


Auf öffentliche Plätze gehen, dort wo Jesus war

Die Auseinandersetzung mit dem Atomwaffenlager in Büchel habe ich mir nicht ausgesucht. Ich bin ihr nur nicht ausgewichen. Weil ich vom Glauben her so geprägt bin, dass sich die Dinge nur ändern, in dem man in die Probleme hineingeht, körperlich, geistig und geistlich. So verstehe ich die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, Inkarnation in seiner Bedeutung für heute. Das Vertrauen in die überwältigende Kraft der Liebe hat mich in diesem Engagement zusammen mit der Gemeinschaft der Menschen, die mit auf diesen Weg sind, getragen. Auch wenn die Ignoranz und der Gewaltglaube, in der massivsten Gestalt, die er in dieser Welt überhaupt annehmen kann, mitunter nur schwer zu ertragen ist. Das Fasten führt ganz praktisch dazu, dass sehr viel Zeit für Gespräche aller Art da ist. Eine wunderbare Erfahrung. Die Solidarität unter den Mitfastenden vor allem in der Zeit vom 6.-9.8. u.a. in London, Paris, USA und Japan macht Mut auch wenn wir durch viele Kilometer voneinander getrennt sind. Dass die Liebe das Sagen hat und nicht Tod und Zerstörung, Aufrüstung und Vergeltung, diese Botschaft des christlichen Glaubens gehört für mich auf die Straße, auf öffentliche Plätze. Da, wo Jesus damit angefangen hat.



aus:
Glaubensorte. Umkämpft. Geliebt. Im Wandel.
Jahrbuch Mission 2017.
Missionshilfe Verlag, Hamburg 2017, 113-120


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