Die Verwandlung der Ohnmacht
Warum ich faste
Gilt der Ruf zur Umkehr allen? Was bedeutet
er zum Beispiel
- für Politiker, die es verantworten, dass Atombomben gelagert
werden?
- für Bürger, die es dulden, dass deutsche Piloten den Abwurf einer
Atombombe üben?
- für Soldaten und Angestellte, die unmittelbar mit Atombomben zu
tun haben?
Und was bedeutet der Ruf zur Umkehr für mich?
Der Glaube kann Berge versetzen. Was einmal für unmöglich gehalten
wurde – heute ist es Alltag: Die Sklaverei ist abgeschafft. Kinder
werden in den Schulen nicht mehr geprügelt. Frauen gehen zur Wahl
und kämpfen für ihre Rechte.
Aber wann ist die Welt atomwaffenfrei? Was
hindert die Bundesregierung daran, den Abzug der ca. 20 Atombomben
aus dem Fliegerhorst Büchel in der Südeifel zu beschließen, die
die USA dort vermutlich bereits mit Dienstbeginn des deutschen
Luftwaffengeschwaders 1957 gelagert haben?
Was tun im Angesicht der Atomwaffen?
Diese Fragen rückten mir auf den Leib, als ich
1997 Militärpfarrer wurde. Mit Schrecken stellte ich fest, dass
durch die 2. Luftwaffendivision in Birkenfeld (ebenfalls
Rheinland-Pfalz) indirekt auch der Fliegerhorst Büchel zu meinem
Bereich gehörte, das inzwischen letzte verbliebene
US-Atomwaffenlager in Deutschland. Schon als Jugendlicher war mir
durch die politische Bildung in der evangelischen Jugendarbeit klar
geworden, dass Atomwaffen abgeschafft gehören. Sie widersprechen dem
christlichen Bekenntnis. An Demonstrationen für die Abschaffung von
Atomwaffen teilzunehmen – dazu war ich damals zu feige gewesen. Nun
aber gehörte diese Thematik zu mir.
Ich war den Atomwaffen nahe gekommen. Wie sollte ich mich dazu
verhalten? Dankbar nahm ich das damals frisch veröffentlichte
Gutachten des Internationalen Gerichtshofes, (IGH) von 1996 auf,
wonach die Androhung und Anwendung von Atomwaffen grundsätzlich
völkerrechtswidrig sind. Nur für den Fall, dass ein Staat in seiner
Existenz unmittelbar bedroht ist, wollte das Gericht sich nicht
festlegen. In der 2. Luftwaffendivision jedoch kannte niemand dieses
Gutachten des IGH. Weder Bundeswehr noch die Militärseelsorge, die
organisatorisch dem Verteidigungsminister untersteht, fühlten sich
verantwortlich dafür, die Einheit darüber zu informieren.
Das Völkerrecht ist für den Staat und damit für alle Soldaten
durch Artikel 25 des Grundgesetzes bindend: „Die allgemeinen Regeln
des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den
Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die
Bewohner des Bundesgebietes.“ Darum war ich davon überzeugt, der
Hinweis darauf würde ausreichen, Soldaten aller Ränge dazu zu
bewegen, sich mit mir gemeinsam dafür einzusetzen, dass die
Atomwaffen abgerüstet würden. Aber das Vorhaben scheiterte. Auch
wenn ich natürlich nicht weiß, was es bei den Soldaten bewirkte,
dass ich diese Thematik in meinen Lebenskundlichen Unterricht (LKU)
immer wieder einbrachte. Mit dem damaligen General in Birkenfeld
hatte ich jedenfalls eine heftige öffentliche Auseinandersetzung.
Aber das half nicht weiter.
Büchel soll fallen wie die Festung von Jericho
Deshalb veränderte sich mein Fokus im Laufe
der Zeit. Wie kann es gelingen die Bevölkerung vor Ort dafür zu
gewinnen, sich mit dafür einzusetzen, dass die Atombomben abgezogen
werden, fragte ich mich? Wenn es zu einer großen Krise kommt,
sind sie als Nachbarn als allererste bedroht! Wie kann es gelingen,
Soldaten dazu zu bewegen, dass sie erklären, mit Atomwaffen nichts
zu tun haben zu wollen? Wie kann es gelingen, die bundesdeutsche
Öffentlichkeit dazu zu mobilisieren, dieses Unrecht zu beenden?
Zum Glück gab es schon seit einiger Zeit vor Ort Menschen, die sich
für dieses Ziel einsetzten. Wir trafen uns und gründeten den
Initiativkreis gegen Atomwaffen, heute eine Regionalgruppe des
Internationalen Versöhnungsbundes. Damit bildeten wir eine Art von
verbindlicher Gemeinschaft, angestoßen durch die
friedenstheologische Lektüre des US-amerikanischen Theologen John
Howard Yoder. Er schildert, wie die Friedensbotschaft Jesu in der
Welt gewirkt hat, zu Lebzeiten von Jesus und genauso heute:
Unmittelbar nach seinem ersten öffentlichen Auftreten beginnt Jesus
eine verbindliche Gemeinschaft zusammenzurufen. Solch ein Schritt
schafft Fakten und verändert die Welt schon ein wenig – zumindest
vor Ort.
In unserem Initiativkreis waren die Beteiligten christlich geprägt
und ökumenisch orientiert. So war es für uns selbstverständlich,
das Atomwaffenlager Büchel und unsere Aktionen dort auch in einer
geistlichen Perspektive zu sehen. Als erstes bezogen wir die
biblische Geschichte vom Fall der Festung
Jerichos auf das Atomwaffenlager Büchel. Ab 2002 umrundeten
wir sieben Jahre lang einmal jährlich den 18,5 Kilometer langen Zaun
des Atomwaffenlagers. Im 7. Jahr machten wir dasselbe an sieben Tagen
hintereinander einmal täglich und am letzten Tag dieser Woche
läutete eine Fahrradgruppe mit sieben Umrundungen den Abschluss ein.
An diesem letzten Tag, am
30. August 2008 begleiteten uns mehr als
2000 Menschen – so viele wie noch nie.
Friedenstafeln und „Welt-Kriegs-Bruch“
Diese Umrundungen wurden oft durch eine „Friedenstafel“ vor der
Einfahrt zum Atomwaffenlager eröffnet. Mit dieser Friedenstafel –
ein gedeckter Tisch für ein gemeinsames Frühstück mit
Demonstrierenden und Soldaten – wollten wir ein Angebot aus Gottes
neuer Welt, ein Zeichen des Friedens, aufnehmen: Dass wir einst
gemeinsam an dem Tisch versammelt sein werden, den Christus uns
bereitet.
Es gab bei dieser Gelegenheit tatsächlich die eine oder andere
Begegnung. Aber während in den ersten Jahren zumindest einige
Soldaten teilnahmen, so wurde die Zahl immer weniger, je länger wir
vor Ort tätig waren. Viele – besonders die Zivilangestellten –
fürchten um ihren Arbeitsplatz, wenn die Atombomben abgezogen werden
sollten.
Aus dieser Sorge heraus wurde auf einer der Umrundungen mit
fachlicher Begleitung ein Konzept für eine alternative Nutzung des
Fliegerhorstes entwickelt: Die Idee: Ein Zentrum für alternative
Energiegewinnung auf der Grundlage der dort verlaufenden
Euro-Pipeline. Bislang hat keine der benachbarten Kommunen unser
Angebot angenommen an einem Konversionsprojekt zu arbeiten. Aber je
eher das geschieht, desto eher sind die Kommunen darauf vorbereitet,
sich aus der strukturellen monokulturellen Abhängigkeit vom
Arbeitgeber Bundeswehr zu lösen und andere Standbeine eines lokalen
Wirtschaftslebens zu fördern. Dies wäre eine bedeutsame kommunale
Aufgabe, nicht zuletzt bei einer Schließung des Fliegerhorstes.
Zeichenhaft erleben können, was es mit Gottes neuer Welt auf sich
hat, war auch der Grundgedanke für die Aktion Zivilen Ungehorsams im
Sommer 2009. Zu dritt sind wir mit Engagierten aus der
Friedensbewegung auf das Gelände des Verwaltungsbereiches des
Atomwaffenlagers „eingedrungen“ - wir gingen einfach an der Wache
in Cochem-Brauheck vorbei. Mit Rosen in beiden Händen – um
sichtbar zu machen, dass wir unbewaffnet sind. Mit dieser „Invasion
der Freundlichkeit“ wollten wir mit der Kriegslogik brechen und
„Weltkriegsbruch“ begehen. Der Aufforderung des wachhabenden
Soldaten stehen zu bleiben leisteten wir Folge. Wir wurden von der
Polizei festgenommen und nach Überprüfung unserer Personalien
freigelassen. Im Januar 2010 wurde ich wegen „Hausfriedensbruch“
zu 500 Eure Geldbuße auf Bewährung verurteilt.
Unsere Veranstaltungen vor Ort, gleich welcher Art und Aktion, werden
mit einem Gebet, einer Andacht oder einem Gottesdienst eröffnet
und/oder abgeschlossen.
So entstand auch das “Büchelgebet“, später die „Büchelhymne“
.
Fasten als geistliche Auseinandersetzung
Im August 2010 schließlich starteten wir anlässlich der Gedenktage
an die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki im August 1945 eine
sich seitdem ständig ausweitende Fastenkampagne Damals erklärte
ich: „Solange in Deutschland noch Atomwaffen lagern, werde ich
jedes Jahr einen Tag länger fasten und jeweils einen Tag eher
anfangen.“ Damit eröffnete ich – so verstehe ich diese
Aktionsform - die geistliche Auseinandersetzung mit den Atomwaffen.
Sie widersprechen nicht nur allen drei Artikeln des christlichen
Glaubensbekenntnisses. Sie gefährden auch die gesamte Schöpfung.
Sie leugnen das Geschenk der Vergebung, das uns durch Christus
gegeben wurde. Und sie sprechen dem Heiligen Geist Hohn, der zum
Umkehr ruft.
Atombomben verleihen ihren „Besitzern“ und anscheinend auch
vielen, die mit ihnen zu tun haben, den aberwitzigen Eindruck, der
Stärkste unter den Starken zu sein. Sie sind Ausdruck des
Gewaltglaubens. Realisierte Apokalyptik in falsch verstandenem
Glauben an eine Allmacht durch Herrschaft und Gewalt. Der Widerstand
gegen Atomenergie und Atombomben muss sich dagegen schon seit
Jahrzehnten mit Ohnmachtserfahrungen auseinander setzen. Diese hat
jeder und jede mit sich selbst und dem eigenen Glauben auszumachen.
Dabei ist es nicht zuletzt auch eine gesellschaftliche, ja weltweite
Problematik.
Durch unsere Fastenaktion wird die Ohnmacht öffentlich. Sie wird
geradezu zur Schau gestellt und zelebriert. Im kindlichen Vertrauen
eines Christenmenschen: „Wo unsere Ohnmacht am größten ist, kann
der Geist Gottes am ehesten wirken.“ Die Fastenaktion will die
Soldaten am Fliegerhorst ansprechen, sie einladen umzukehren und eine
juristisch geprüfte Erklärung abzugeben, nichts mit Atomwaffen zu
tun haben zu wollen. Und sie richtet sich an die Bevölkerung der
ganzen Bundesrepublik: Es muss mehr geschehen im Kampf gegen
Atomwaffen!
Täglich umrahmen zwei Gedenk-Friedensgebete unsere Fastentage:
Morgens um 8.15 Uhr und abends um 20.15 Uhr. Um 8.15 Uhr, am 6.
August 1945, wurde die Atombombe über Hiroshima gezündet. In diesen
Friedensgebeten werden die Namen von Hiroshima-Opfern gedenkend
verlesen.
Entscheidend dabei wurden für mich die biblischen Buß- und
Klagepsalmen. Einige bezog ich auf die Auseinandersetzung mit den
Atombomben und war selber überrascht, wie sehr sie in die aktuelle
Situation hinein sprachen. Wie so oft war die Bibel auch hier wieder
Sprach- und Denkhilfe. Der Ort unserer Aktionen – die Haupteinfahrt
zum Atomwaffenlager – wurde und wird so nach und nach umgewandelt.
Jedes Mal, wenn jetzt Soldaten zur Arbeit fahren, durchqueren sie
eine Wolke von Gebeten, die auf dem Weg ruhen. Außerdem gibt es eine
Friedenswiese mit vielfältigen Friedenssymbolen geworden, darunter
einem Bildstock mit dem berühmten Holzschnitt von Otto Pankok
„Christus zerbricht das Gewehr“.
Thomas Gerhards |
Auf öffentliche Plätze gehen, dort wo Jesus war
Die Auseinandersetzung mit dem Atomwaffenlager in Büchel habe ich
mir nicht ausgesucht. Ich bin ihr nur nicht ausgewichen. Weil ich vom
Glauben her so geprägt bin, dass sich die Dinge nur ändern, in dem
man in die Probleme hineingeht, körperlich, geistig und geistlich.
So verstehe ich die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus,
Inkarnation in seiner Bedeutung für heute. Das Vertrauen in die
überwältigende Kraft der Liebe hat mich in diesem Engagement
zusammen mit der Gemeinschaft der Menschen, die mit auf diesen Weg
sind, getragen. Auch wenn die Ignoranz und der Gewaltglaube, in der
massivsten Gestalt, die er in dieser Welt überhaupt annehmen kann,
mitunter nur schwer zu ertragen ist. Das Fasten führt ganz praktisch
dazu, dass sehr viel Zeit für Gespräche aller Art da ist. Eine
wunderbare Erfahrung. Die Solidarität unter den Mitfastenden vor
allem in der Zeit vom 6.-9.8. u.a. in London, Paris, USA und Japan
macht Mut auch wenn wir durch viele Kilometer voneinander getrennt
sind. Dass die Liebe das Sagen hat und nicht Tod und Zerstörung,
Aufrüstung und Vergeltung, diese Botschaft des christlichen Glaubens
gehört für mich auf die Straße, auf öffentliche Plätze. Da, wo
Jesus damit angefangen hat.
aus:
Glaubensorte. Umkämpft. Geliebt.
Im Wandel.
Jahrbuch Mission 2017.
Missionshilfe Verlag, Hamburg
2017, 113-120
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