Entwöhnung - Eine Fastendimension
Die Gewöhnung an Gewalt und Unrecht ist deren stärkste Stütze. Wird sie in Frage gestellt wird, muss sie legitimiert werden. Das Schwarzbuch, wie Philosophie, Theologie, Staatskunst und Verwaltungslehre Gewalt legitimiert haben, würde viele Seiten füllen. Ziel aller Legitimierungsversuche aber ist es, dass die Gewöhnung an die Gewalt eintritt. Und dass diese Gewöhnung am Besten gleich von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Genauso wie Dress- und Verhaltenscodes der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zu erkennen geben, zu wem man gehört - und zu wem eben nicht.
Erasmus war es, der mit seiner epochemachenden Schrift - Die Klage des Friedens, "Querela Pacis"; eigentlich müsste es heißen "Die Klage von Frau Frieden" - von 1517 aufgedeckt hat, wie gefährlich die Gewöhnung an Gewalt für den Frieden ist: "Wenn nicht die Gewöhnung zuerst das Entsetzen und dann gar das Empfindungsvermögen für das Böse raubte, könnte man dann jene für mit menschlicher Vernunft begabt halten, die so uneinig Zank und Streit und Tumult veranstalten und sich in Kriegen bekämpfen?"
Obwohl biologische und chemische Massenvernichtungswaffen schon seit Jahrzehnten geächtet sind, ist dies bei den Atombomben immer noch nicht der Fall.
Ohne dass die Mehrheit der Menschen - zumindest in Deutschland - dem zustimmt, hat sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit doch daran gewöhnt, dass es Atombomben gibt. Viele Menschen wissen immer noch nicht, dass in Deutschland Atombomben der Vereinigten Staaten von Amerika lagern. Und selbst wenn sie es wissen, geschieht nur sehr wenig dafür, dass sie abgezogen werden.
Der Protest gegen die atomare Bewaffnung hat schon lange nicht mehr zu großen Demonstrationen geführt. Die Gründe dafür liegen wohl auch darin, dass man sich nicht betroffen fühlt. Und die, die unmittelbar davon betroffen sind, die Menschen, die in unmittelbarer Umgebung des Atomwaffenlagers Büchel leben, wiegen sich durch die Versicherung der Bundeswehr, "Wir haben die Atomwaffen unter Kontrolle" und die Arbeitsplätze am Fliegerhorst in Sicherheit.
Auch die eigene Beteiligung daran, dass die nukleare Teilhabe aufrecht gehalten wird, wird auf ein solches Minimum reduziert, dass es verschwindet. Der Soldat verweist auf seinen Vorgesetzten. Dieser auf die Politiker. Und diese sprechen von der NATO und die NATO hält an der nuklearen "Option", wie es betrügerisch heißt, fest. Betrügerisch, weil solch eine Unmöglichkeit, wie eine Atomwaffe, keine Möglichkeit, keine "Option" sein kann.
Das Entsetzen über die nach wie vor beibehaltene Nukleare Teilhabe Deutschlands gehört auf die Straße.
Das Erleben der Ohnmacht wird zum Anruf an das Gewissen, sich der eigenen Gewöhnung an das Unrecht bewusst zu werden und sich dieser Gewöhnung zu entledigen.
Dieses öffentliche internationale Fasten erhebt die Frage: Wie weit habe ich mich an Ungerechtigkeit gewöhnt? Wie weit habe ich mit damit abgefunden, dass Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika immer noch in Deutschland lagern, obwohl sie geächtet gehören?